Der Vagusnerv wird häufig genannt, wenn es um das Thema Stressmanagement geht. Doch warum? Was hat dieser Nerv mit unserem Stressempfinden zu tun?
Das Nervensystem in unserem Körper
Der Vagusnerv ist ein Teil des vegetativen Nervensystems. Dieses wird auch autonomes Nervensystem genannt und bildet zusammen mit dem somatischen Nervensystem das gesamte periphere und zentrale Nervensystem unseres Körpers.
Während das somatische Nervensystem jedoch willentlich von uns beeinflusst werden kann und wir dadurch in der Lage sind, bewusste Reaktionen, wie zum Beispiel Muskelbewegungen, auszuführen, können wir das autonome Nervensystem allenfalls indirekt beeinflussen. Was auch gut ist! Denn dieses ist für diverse automatisch ablaufende innerkörperliche Vorgänge, die sogenannten Vitalfunktionen, verantwortlich. Dazu gehören beispielsweise die Atmung, die Verdauung, der Herzschlag und der Stoffwechsel. Sehr praktisch also, dass wir uns darum keine Gedanken machen müssen.
Das vegetative Nervensystem wird darüber hinaus in drei Bestandteile untergliedert: das sympathische Nervensystem, das parasympathische Nervensystem und das enterische Nervensystem, also das Nervensystem des Magen-Darm-Traktes. Das sympathische Nervensystem und das parasympathische Nervensystem sind sogenannte Gegenspieler: Während der Sympathikus hauptsächlich für die Leistungssteigerung unseres Körpers verantwortlich ist, also die Erhöhung von Blutdruck und Herzrate bei Gefahr oder eben auch bei Stress, ist der Parasympathikus für die Erholung zuständig und sorgt dafür, dass nach Abklingen der Gefahr beziehungsweise des Stresses sich Blutdruck und Herzrate wieder normalisieren. Und der wichtigste Nerv des Parasympathikus ist der Vagusnerv, lateinisch Nervus vagus, der auch gerne treffenderweise als Ruhe-Nerv bezeichnet wird.
Warum die Stimulierung vom Vagusnerv ein Rundum-Vorsorge-Paket ist
Natürlich können wir jetzt nicht – wie oben bereits geschrieben – den Vagusnerv willentlich beeinflussen. Allerdings ist es durchaus möglich diesen durch gezielte Stimulation indirekt dazu zu bringen, aktiver zu werden und zum Beispiel die Atmung wieder zu vertiefen oder auch den Herzschlag etwas zu verlangsamen. Und da der Vagusnerv seinen Ursprung im Gehirn hat, genauer in Hirnbereichen, welche unsere Stimmungen und Emotionen regeln, können wir durch eine gezielte Aktivierung dieses Nervs auch ruhiger, gelassener und entspannter werden.
Doch nicht nur in stressigen und hektischen Phasen kommt uns eine Stimulierung des Vagusnervs zugute. Wenn wir regelmäßig den Nervus vagus gezielt stimulieren, werden wir sogar insgesamt stressresistenter. Darüber hinaus verbessert sich auch unsere Konzentration, unsere Verdauung und unser Schlaf. Außerdem wird sogar unser Immunsystem gefördert. Ein Rundum-Vorsorge-Paket also.
Wie der Vagusnerv das alles schafft? Weil er zum einen der längste Nerv unserer insgesamt zwölf Hirnnerven ist und vom Gehirn über das Herz, die Lungen, Leber und Milz bis in den Magen-Darm-Trakt reicht. Zum anderen ist der Name bei diesem Nerv Programm: Denn „vagari“, aus dem sich der Name „vagus“ abgeleitet hat, ist lateinisch und bedeutet „herumwandernd“. Damit wird deutlich, dass sich der Vagusnerv, sobald er Gehirn und Schädel hinter sich gelassen hat, in viele Nervengeflechte aufgliedert, was es ihm ermöglicht, an der Innervierung so vieler verschiedener Organe beteiligt zu sein.
In diesem sehr gut gemachten Video von ARD Gesund erklärt Dr. Julia Fischer die Bedeutung des Vagusnervs auf unser Stressempfinden, stellt einige der unten beschriebenen Stimulierungsmöglichkeiten vor und geht ebenfalls auf einige Studien ein: https://www.youtube.com/watch?v=JznCM0hvznA
Wie Sie den Vagusnerv stimulieren können
Die Beteiligung vom Vagusnerv an Entspannung und Erholung vor allem nach stressigen Phasen ist lange Zeit unterschätzt worden, ebenso wie die Möglichkeit, durch ihn Reserven gegen Stress aufzubauen. Mittlerweile gibt es jedoch diverse Studien, die sich mit der Stimulation des Vagusnervs und deren Auswirkungen auf unser Stressempfinden beschäftigen (siehe Literaturangaben am Ende dieses Artikels). Aus diesen Forschungen haben sich einige Methoden herauskristallisiert, die sich besonders gut zur Stimulierung des Vagusnervs in stressigen Phasen eignen. Einige davon stelle ich Ihnen hier vor:
Den Vagusnerv durch tiefe Atmung stimulieren
Indem Sie langsamer und gleichzeitig tiefer atmen, stimulieren Sie bereits den Vagusnerv. Dadurch geben sowohl Sie selber Ihrem Körper das Signal, sich zu entspannen als auch dass sich der Vagusnerv aktiviert und Blutdruck und Herzrate senkt. Dadurch stellt sich eine spürbare Entspannung meist schon nach wenigen Atemzügen ein.
Konzentrieren Sie sich dazu ganz auf Ihren Atem und versuchen Sie, tief in den Bauch einzuatmen. Versuchen Sie außerdem, die Ausatmung etwas länger zu gestalten als die Einatmung. Des Weiteren verstärken Sie Ihre Entspannung, wenn Sie durch die Nase einatmen und durch den Mund sanft wieder aus.
Verlängern Sie Ihre Ausatmung
Wie bereits im vorherigen Punkt geschrieben, stimuliert auch eine verlängerte Ausatmung den Vagusnerv.
So eine verlängerte Ausatmung trainieren Sie beispielsweise, indem Sie durch einen Strohhalm in ein Glas mit Wasser pusten und dieses dadurch aufblubbern. Oder Sie werden wieder zum Kind und pusten Seifenblasen. Für besonders große Blasen müssen Sie lange und gleichmäßig durch den Seifenblasenring pusten. Auch das ist eine tolle Methode, Ihre Ausatmung spielerisch zu trainieren und zu verlängern.
Weitere Tipps für eine bewusste(re) Atmung finden Sie in diesem Blogartikel: Mit einer bewussten Atmung zu mehr Energie und Kraft.
Intonieren Sie Vokallaute
Der Vagusnerv mag Vokale, vor allem A, O und U. Kein Wunder also, dass bereits seit Jahrhunderten Mönche beim Meditieren ein „oommmm“ intonieren. Denn die Vibrationen des Kehlkopfes und der Stimmbänder stimulieren den Vagusnerv.
Vagus-Atmung
Ja, es gibt tatsächlich eine spezielle Atemtechnik, um den Vagusnerv zu stimulieren: Die Vagus-Atmung, die auch gerne Box-Atmung oder Vier-Quadrat-Atmung genannt wird.
Dazu stellen Sie sich eine quadratische Box vor, die Sie in Gedanken mit Ihren Atemzügen entlangfahren, wie folgt:
- atmen Sie ein und zählen Sie in Gedanken bis vier
- atmen Sie anschließend aus und zählen Sie erneut in Gedanken bis vier
- bei der erneuten Einatmung zählen Sie wieder in Gedanken bis vier
- bei der Ausatmung ebenso
Nachdem Sie diese erste Box „geschlossen“ haben, fangen Sie mit der nächsten an. Atmen Sie in dieser Manier so lange, bis Sie sich ruhiger fühlen.
Den Vagusnerv durch Massage stimulieren
Der Vagusnerv läuft nach Austritt aus der Schädelbasis seitlich am Hals – zwischen Ohren und Schulterübergängen – entlang. Daher ist dies die ideale Stelle, um ihn mit sanften, kreisenden Bewegungen verbunden mit leichtem Druck anzuregen.
Entspannungstechniken für den Vagusnerv
Neben diesen oben beschriebenen Methoden gibt es natürlich einige Entspannungstechniken, die durch Einbeziehen einer bewussten Atmung den Vagusnerv stimulieren. Dazu gehören beispielsweise Meditation, Yoga, Qigong und autogenes Training. Diese Techniken haben außerdem den Vorteil, dass sie nicht nur in Akutsituationen hilfreich sind, sondern zudem – sofern sie regelmäßig durchgeführt werden – bereits im Vorfeld für eine bessere Stressprävention sorgen.
Was dem Vagusnerv außerdem guttut, sind individuelle Methoden, die Ruhe und Entspannung bei einem fördern – was sehr unterschiedlich sein kann: Während es bei dem einen eher gemütliche Spaziergänge im Park sind, hilft einem anderen eher ein warmes Bad oder ein Nachmittag auf dem Sofa mit einem guten Buch.
Probieren Sie aus, was Ihnen guttut.
Forschungen zum Vagusnerv
Chronischer Stress ist einer der Hauptgründe für psychische Erkrankungen, wozu zum Beispiel auch Depression gehören. Das wurde hinlänglich durch wissenschaftliche Studien erwiesen. Dabei wurde in einigen dieser Studien festgestellt, dass bei bestimmten Krankheiten, beispielsweise Depressionen, die Tätigkeit des Vagusnervs (was auch als Vagotonus bezeichnet wird) deutlich erniedrigt ist.
Deswegen wurden vermehrt Studien im Bereich der psychischen Gesundheit durchgeführt, in denen erforscht wurde, wie sich der Vagusnerv bei chronischem Stress, innerer Unruhe und auch Depressionen aktivieren lässt, um zu mehr Wohlbefinden zu führen. Das führte dazu, dass beispielsweise die elektrische Vagusnervstimulation heutzutage als anerkannte Methode gilt, um Patienten mit schwer zu behandelnden Depressionen zu unterstützen.
Außerdem gibt es auch Studien mit den Fragestellungen, ob nicht bestimmte Formen der Epilepsie, Migräne oder chronische Schmerzen ebenfalls mittels einer Stimulierung des Vagusnervs behandelt werden können. Diese Forschungen stecken allerdings noch in den Kinderschuhen und sind allenfalls Zukunftsmusik.
Sie sehen: Der Vagusnerv ist also alles andere als „einfach nur“ ein weiterer Nerv, der in unserem Körper herumschwirrt. Kümmern Sie sich gut um ihn, ermöglicht er Ihnen, besser mit Stress umzugehen und sogar in Akutsituationen gerüsteter zu sein.
Literatur:
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Jungmann M., Vencatachellum S., Van Ryckeghem D., Vögele C. (2018): Effects of Cold Stimulation on Cardiac-Vagal Activation in Healthy Participants: Randomized Controlled Trial
JMIR Formative Research Volume 2, Edition 2:
https://formative.jmir.org/2018/2/e10257/
Magnon V., Dutheil F. & Vallet G.T. (2021): Benefits from one session of deep and slow breathing on vagal tone and anxiety in young and older adults. Scientific reports, Volume 11:
https://www.nature.com/articles/s41598-021-98736-9
Meier M., Unternaehrer E., Dimitroff S.J., Benz A.B.E., Bentele U.U., Schorpp S.M., Wenzel M. & Pruessner J.C. (2020): Standardized massage interventions as protocols for the induction of psychophysiological relaxation in the laboratory: a block randomized, controlled trial. Scientific reports, Volume 10:
https://www.nature.com/articles/s41598-020-71173-w#citeas
Moser M. (2025): Die heilende Kraft des Vagus – die Bedeutung des Erholungsnervs für unsere Gesundheit. ecoWing Verlag bei Benevento Publishing, Salzburg, Wien.