„Ich bin mit meiner Aussage nicht einverstanden.“, sagte ein Drittklässler, als er im Mathematikunterricht zu den geraden und ungeraden Zahlen befragt wurde. Die Kinder hatten gerade in Gruppen das Thema erarbeitet und er war überzeugt gewesen, dass „6“ beides sei, gerade und ungerade. Eine Mitschülerin hatte ihm den Gegenbeweis geliefert und ihm ihren Standpunkt erklärt, worauf er antwortete „Von dieser Seite habe ich das Ganze noch gar nicht betrachtet, danke dir.“
Welche intellektuelle Bescheidenheit doch dieser Dreikäsehoch an den Tag legte, indem er die Grenzen seines Wissens erkannte und das Wissen anderer wertschätzte.
Fehler sind Zielscheibe von Spott
Das war ganz besonders lobenswert, da er einen Fehler eingestand und damit Gefahr lief, zum Gespött seiner Mitschüler zu werden. Denn leider ist der Druck in unserer Gesellschaft diesbezüglich sehr groß. Doch bringt solche intellektuelle Bescheidenheit etwas für seinen Lernerfolg?
Auf den ersten Blick nicht. Ich meine, Professoren, Manager, Ärzte und Politiker, die sich ja als die geistige Elite betrachten, pflegen sich nicht gerade durch intellektuelle Bescheidenheit auszuzeichnen. Im Gegenteil haben sich viele Entdecker und verdiente Denker gerade dadurch ausgezeichnet, dass sie beharrlich an ihrer Überzeugung: „Ich muss recht haben!“ festgehalten hatten.
Die US-amerikanische Psychologin Dr. Tenelle Porter untersuchte die Frage danach an Schülern einer High School. Sie legte den Schülern Fragebögen vor, in denen sie Stellung nehmen sollten, inwieweit Sie eher bescheiden an das Thema Wissen und Lernen herangehen.
Die Studie zeigte, dass die Schüler, die sich eher als intellektuell bescheiden einschätzten, eine höhere Motivation zum Lernen hatten, sie hatten die erfolgreicheren Lernstrategien und kontrollierten ihre Lernergebnisse eher als ihre Kollegen.
Auch die die Lehrer der Jugendlichen, die übrigens die Antworten auf die Fragebögen nicht kannten, durften ihren Eindruck über ihre Schüler zu Papier bringen. Sie erlebten die bescheideneren Schüler genauso als motivierter und leistungsfähiger als ihre Kollegen. Selbst in den Noten spiegelten sich diese Einschätzungen wider.
Kann man intellektuelle Bescheidenheit fördern?
Nun war es Zeit, zu erforschen, ob von außen herangetragene intellektuelle Bescheidenheit einen positiven Einfluss auf die Lernerfolge von Schülern haben kann. Dazu erhielten zwei Schülergruppen unterschiedliche Artikel an die Hand. Der erste beschrieb, wie wertvoll es sei, zuzugeben, dass man Wissenslücken habe. Im anderen wurde darauf hingewiesen, dass es wichtig sei, sich seines Wissens sicher zu sein.
Tatsächlich zeigte sich, dass die erste Gruppe sich in der Folge markant öfter um Hilfe an ihre Mitschüler und auch Lehrer wandte, wenn sie Verständnisprobleme hatte. Während bei Ihnen 85% im Unterricht nachfragten, waren es in der Kontrollgruppe nur 65% der Schüler, die sich trauten, eine Frage zu stellen.
Das Lernverhalten der Schüler konnte also deutlich verändert werden, indem ihre intellektuelle Bescheidenheit gefördert wurde. Grund genug, in unserem Umfeld mehr auf Bescheidenheit zu setzen.