In Asien betrachtete sich ein hoher Meister einen Wettkampf zwischen seiner eigenen Kampfkunstschule und einer befreundeten. Er betrachtete sich einen Kampf nach dem anderen und sprach dabei kein Wort. An keiner Regung war zu erkennen, für welche Schule er war oder ob er die Kämpfe genoss oder nicht.
Ein europäischer Gast stellte sich unbefangen neben ihn und begann nach und nach, ein Gespräch mit dem Asiaten. Er befragte ihn nach seiner Meinung zu dem einen oder anderen Kampf und zum Talent der verschiedenen Athleten. Auch wenn er mit den Antworten nicht immer etwas anfangen konnte, beschloss er doch, es selbst einmal mit der Kampfkunst zu versuchen, und meldete sich zum Training an.
In den ersten Trainingseinheiten musste er allerhand Niederlagen einstecken und er machte nur langsam Fortschritte. Doch sein Körper gewöhnte sich mit der Zeit an die ungewohnte Belastung und die Muskeln kräftigten sich. Er wurde langsam behänder und flexibler. Auch seine Koordination verbesserte sich und bald wurden seine Bewegungen immer gleichmäßiger und treffsicherer.
Es kam, wie es kommen musste, und sein erster tatsächlicher Kampf stand an.
Gleich sein erster Gegner war schon recht erfahren und machte ihm das Leben nicht leicht. Doch der Europäer war stolz darauf, dass er die volle Kampfzeit überstanden hatte. Er schaute hinüber zu seinem Meister, in der Hoffnung, eine anerkennende Geste zu erkennen. Doch der Asiate schaute genauso emotionslos, wie er ihn seinerzeit kennengelernt hatte.
In den folgenden Wochen und Monaten trainierte der Europäer umso härter, denn sein sehnlichster Wunsch war, endlich Anerkennung und Stolz in den Augen seines Meisters sehen zu dürfen. In den folgenden Kämpfen kam es immer häufiger dazu, dass er einen Kampf über die volle Zeit schaffte, ohne dass seine Gegner ihn frühzeitig besiegen konnten. Er war sehr mit seiner Leistung zufrieden. Doch auch diese Male war es ihm nicht vergönnt, ein Lob aus dem Munde seines Meisters zu erhalten oder auch wenigstens eine Geste zu erhaschen, die ihm gezeigt hätte, dass er seine Sache gut machte.
Ungeduldig, wie er war, suchte er respektvoll das Gespräch mit seinem Meister. Dieser gab ihm die Ehre.
Er fragte ihn: „Meister, ist es nicht so, dass ich mich schon sehr verbessert habe? Nun habe ich es schon einige Male geschafft, dass mich selbst die stärkeren Kämpfer nicht zu Boden werfen konnten. Ehrlich gesagt, bin ich ein wenig enttäuscht, dass Ihr mich nicht dafür lobt!“
„Noch gibt es nichts zu loben“, erwiderte der Meister. „Du hast noch nichts gelernt.“
„Aber wie könnt Ihr so etwas sagen? Ich trainiere so oft es geht und merke die Fortschritte, die ich täglich mache. Meine Technik ist besser und mein Körper stärker denn je in meinem Leben. Wie könnt Ihr da sagen, ich hätte noch nichts gelernt?“, entgegnete der Schüler beinahe schon entrüstet.
„Du sagst, du bist stolz auf deine Leistung in den Kämpfen. Ist das so?“
„Ja, genau“, antwortete der Europäer. „Immerhin ist die Zeit fast vorbei, dass ich wehrlos der Spielball der anderen Kämpfer war. Ich habe nun schon eine ganze Anzahl an Kämpfen über die volle Zeit gekämpft.“
„Das hast du“, meinte daraufhin der Meister. „Du hast aber noch nichts von der Natur des Kämpfens gelernt“, setzte er hinzu. „Du glaubst, einen guten Kämpfer zeichnet es aus, wenn er nicht verliert. Doch im Gegenteil, ist es der Kämpfer, der gewinnt, den ich einen guten Kämpfer nenne.“ Weiter belehrte er den Schüler: „In deinem Bestreben, nicht zu verlieren, hast du dir die Möglichkeit genommen, zu gewinnen. Du verschließt dich dem Fluss des Lebens, indem du deinen Gegner abblockst und ihn dir vom Leib hältst. Doch du musst dich deinen Ängsten stellen und deinen Gegnern. Denn solange dein eigentlicher Gegner deine Angst ist, kannst du dich deinem Partner nicht genügend nähern, um die entscheidende Technik anzusetzen. Die Technik, die dich zum Sieger macht.“